Expertenmandat BAFU "Motion Jauslin"

Michel Walde, Oliver Schilling & Jannis Epting

Ziel dieses Auftrages des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) war es, (1) eine praxistaugliche Definition für eine Grundwassertemperatur zu finden, welche als Referenztemperatur für die Festlegung der erlaubten Temperaturveränderungen bei thermischen Nutzungen des Grundwassers dienen kann, (2) eine praxistaugliche Abgrenzung zwischen oberflächennaher und tiefer Grundwasservorkommen zu erarbeiten, (3) sowie zu eruieren, unter welchen Gegebenheiten ein Tiefengrundwasser ein für Trinkwasserzwecke nicht nutzbares Grundwasservorkommen darstellt.

Basierend auf einer Kompilation an Untergrundtemperaturdaten («Swiss Geotemperature Compilation» - SGC, Abbildung 1), die im Rahmen dieser Studie durch die AUG neu erarbeitet wurde, zeigte sich, dass für oberflächennahe Grundwasserressourcen (bis ca. 25 m Tiefe) in anthropogen wenig bzw. unbeeinflussten Grundwasserleitern jährliche Mittelwerte der bodennahen Lufttemperatur die «natürliche» Grundwassertemperatur darstellen und als Referenztemperatur herangezogen werden können. Für anthropogen wenig bzw. unbeeinflusstes, mitteltiefes Grundwasser (25-2’ooo m Tiefe) überlagert sich der Einfluss vom basalen Wärmestrom mit einem, durch advektive Grundwasserströme in die Tiefe transportierten, oberflächlichen Temperatursignal, wodurch ein Abschätzen von Referenztemperaturen grundsätzlich zusätzlicher standortspezifischer Daten zu Grundwasserneubildung, -alter und -mischungsprozessen bedarf. Für die generell anthropogen unbeeinflussten, sehr tiefen (> 2’ooo m Tiefe) Grundwasservorkommen kann als erste Näherung für unbeeinflusste Grundwassertemperaturen eine Kombination aus regionalen geothermischen Tiefengradienten und des Wärmestroms als Grundlage zur Definition der Referenztemperatur dienen.

In urbanen Gebieten werden aufgrund der starken anthropogenen Nutzung und anderweitigen Beeinflussung des Grundwassers in oberflächennahen Grundwasserleitern bereits heute, in Vergleich zu einem natürlichen Zustand, erhöhte Grundwassertemperaturen beobachtet. Dasselbe ist der Fall für bodennahe Lufttemperaturen, welche aufgrund der Siedlungsdichte, Versiegelung der Oberfläche, Wärmestrahlung der Gebäude und anderweitigen Nutzungen gegenüber bodennahen Lufttemperaturen in ländlichen Regionen signifikant erhöht sind. Eine Definition von Referenztemperaturen basierend auf der in-situ gemessenen mittleren bodennahen Lufttemperaturen in urbanen Regionen wird deshalb der Definition von «natürlichen» Grundwassertemperaturen nicht gerecht. Für urbane Räume muss daher, zur Ermittlung einer potentiellen «natürlichen» Grundwassertemperatur, die bodennahe Lufttemperatur einer ländlichen Station in der Nähe der urbanen Region als Referenz herangezogen werden. 

Aufgrund der komplexen und vielseitigen Nutzung des Untergrunds ist in urbanen Gebieten zudem zu berücksichtigen, dass es nach thermischen Eingriffen in den Untergrund eine gewisse Zeit dauert (Retardationseffekt) bis sich ein neuer thermischer Gleichgewichtszustand (Memory, bzw. Memory-Effekt) einstellt. Für ein nachhaltiges Wärmemanagement urbaner Grundwasserleiter, welches diese Retardations- und Memory-Effekte angemessen berücksichtigt, werden hochauflösende Temperaturmessnetze und thermo-hydraulische Modelle (THM) benötigt.

Differenzierte Betrachtungsweisen bedarf es auch in der Nähe von Fliessgewässern (Berücksichtigung von Fluss-Grundwasserinteraktionen), bei Karst- und Kluftgrundwasserleitern (Quantifizierung von heterogenen, schnellen und langsamen Fliesskomponenten und regionalen Grundwasserzirkulationssystemen) sowie wenn Grundwasser für die Trinkwassergewinnung künstlich angereichert wird (Differenzierung Grundwasserneubildungsprozesse).

Der Klimawandel wird aufgrund der erwarteten weiteren Erhöhung bodennaher Lufttemperaturen dazu führen, dass sich auch die Grundwassertemperaturen generell erhöhen werden. Daneben wird der Klimawandel aber auch die Grundwasserneubildung beeinflussen. Da beide Effekte für die verschiedenen Regionen der Schweiz sehr unterschiedlich ausfallen können, ist in Bezug auf den Effekt des Klimawandels eine differenzierte Betrachtungsweise nötig.

Im Hinblick auf eine Evaluation der Nutzbarkeit von Tiefengrundwasser (GSchV Anh. 4 Ziff. 111: Trinkwasserqualität und ausreichende Menge) stellen wir, basierend auf einer Literatur und Gesetzestextanalyse sowie unter Berücksichtigung geltender Schutzbestimmungen, ein erstes mögliches Evaluationskonzept vor. Das Konzept fusst auf Nutzbarkeitsparametern (Ergiebigkeit, Temperaturen und hydrochemische Hintergrundwerte [v.a. Mineralisation]) und erlaubt eine erste Unterscheidung zwischen nutzbarem und nicht nutzbarem Tiefengrundwasser für unterschiedliche Nutzungsarten (Trink-, Mineral-, Thermal-, Badewasser bis hin zu nicht nutzbar).

Wegen der begrenzten und unvollständigen Datenlage müssen bei der Nutzung von Tiefengrundwasser, sowohl für bestehende als auch zukünftige Anwendungen, vor der Wärmenutzung immer die in-situ-Grundwassertemperaturen als Referenz gemessen werden. Zusätzlich sind Tracer- und Geoindikatoruntersuchungen erforderlich.

Abbildung 1: Verschiedene thermische Parameter entlang eines schematischen topografischen Längsprofils zwischen Basel und dem Wallis im Zusammenhang mit den tektonischen Grosseinheiten. Oben: Mittlerer geothermischer Gradient sowie Verlauf des interpolierten basalen Wärmestroms (rote Linie); Die Dimension der Rechtecke für die entsprechende grosstektonische Einheiten beschreiben die statistische Verteilung der Datengrundlagen vom 1. bis 3. Quartil in der Schweiz (aus SGC). Unten: Schematisch dargestellte regionale, Topographie-induzierte Grundwasserfliesspfade und interpretierte 40 °C-Isotherme.